Katharina Thaller
Ratuj mnie, reši me! (Rette mich)
„Wenn unser Gott Jehova will, werden wir es aushalten. ”

Und so haben sie mir die Arbeit zugeteilt. Büro reinigen, das habe ich schon machen können. Das habe ich eineinhalb Jahre gehabt, und zwar habe ich das Büro vom Schutzhaftlagerführer gehabt. Das war derjenige Mann, der die Lager aufgestellt hat. Der hat eine große Landkarte gehabt, die habe ich immer gesehen, aber auf einmal war eine viel größere da. Und überall, alle zwei Zentimeter war eine Stecknadel mit einem Fähnchen. Und er ist sonst nie gekommen, das ganze Jahr habe ich ihn nicht gesehen, und auf einmal macht er die Tür auf. Ich war so überrascht, ich habe nicht einmal Guten Morgen gesagt, denn das war ja dort nicht der Brauch. Und dann habe ich zu ihm gesagt: "Sagen Sie, was bedeuten denn die Fähnchen da?" Also, der hat so große Augen gemacht, dass ich so dumm bin und nicht weiß, dass das die neuen KZ sind. Na, und dann hat er mir das gesagt. Und ich sage: "Dann habt ihr ja mehr Leute eingesperrt, als daheim sind bei der Arbeit." Auf dem Absatz hat er sich umgedreht und war schon zur Tür hinaus. Und acht Tage später war ich nicht mehr dort. Da hat man mir eine andere Arbeit zugeteilt, das war dann die Entwesung, wo die Läuse waren.

Verkrätzt war ich nicht, aber meine Füße waren schwarz wie Kohlenstaub. Ich habe keine Tage mehr bekommen, es war zu kalt. Da hat mir eine ältere Schwester gesagt: "Setz dich doch einmal ins heiße Wasser." Beim Putzen, sonntags im Büro, haben wir heißes Wasser gekriegt. Und tatsächlich habe ich die Regel bekommen. Und dann sind auch die Füße wieder normal geworden. Interviewerin: Hat das sehr weh getan? Nein, weh nicht, aber schön waren sie eben nicht. Dann habe ich Schweißdrüsengeschwüre bekommen, dreimal habe ich einen Abszess am Fuß gehabt, das ist aufgeschnitten worden. Unter den Armen habe ich immer wieder kleine Abszesse gehabt, denn man konnte sich ja nicht reinigen. Ausheilen lassen konnte man es auch nicht, denn beim Ausziehen des Kleides wurde alles wieder aufgerieben. Die Kleidung war ja stocksteif. Es war nichts Gemütliches, wo man sagen könnte, man hätte sich wohlgefühlt. Ich war ja nicht im Sanatorium, ich war im KZ. Deswegen gab es nichts Angenehmes, gar nichts.

Dann sind wir - wie ich schon gesagt habe - mit der blinden Schwester, die hat Ulli D. geheißen, spazieren gegangen. Und sie war schon sechs Jahre eingesperrt und hätte gerne ein Ende gehabt. Und sie fragt mich: "Was meinst du, wie lange müssen wir noch da sein?" Und ich habe gesagt: "Ich vermute, ich habe das Gefühl, zwei Jahre muss ich vollmachen." Sie war fürchterlich entsetzt, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und hat gesagt: "Das halte ich nicht aus, das halte ich nicht aus, das werde ich nicht aushalten!" Nun, nachdem sie eine Weile gejammert hat, habe ich gesagt: "Schau, wenn unser Gott Jehova will, werden wir es aushalten. Und wenn er nicht will, dann gehen wir halt schlafen." Das habe ich gesagt, denn der Tod gilt für uns als Schlaf, weil man ja nichts weiß und nichts hört und nichts sieht. Sonst würde sich ja niemand in den Sarg hineinlegen lassen, wenn er noch etwas hören und sehen würde.

Aus: Ratuj mnie, reši me! (Rette mich), Österreichische Überlebende des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, 65 min. Weitere Informationen zum Film finden Sie hier.