Christine Berger-Wagner
Ratuj mnie, reši me! (Rette mich)
"Dadurch, daß wir so zusammengehalten haben, war es dann irgendwie leichter.”

Und wie ich nach Ravensbrück gekommen bin, ist von der illegalen Lagerleitung beschlossen worden, dass wir acht Leobnerinnen weg müssen von Ravensbrück. Weil wir mit dem Brief "Heimkehr unerwünscht" gekommen sind, damit wir nicht zum Tod verurteilt werden. Vierzehn Tage danach ist dann die Mama ins Lager gekommen. Wenn ich das gewusst hätt´, wär ich ja nicht weg, weil irgendwie... Ich habe ja auch sofort Verbindung gehabt, wie ich ins Lager gekommen bin. Da sind wir in ein großes Zelt gekommen - Aufnahmelager - und da haben sie uns alle hineingestoßen und ich - frech war ich ja immer - habe die Zelttür aufgemacht, und da steht eine Leobnerin vor mir, die schon vier Jahre eingesperrt war. Und ich sage zu ihr: "Anni, du bist es!" Hat sie gesagt: "Komm, ich muss mit dir reden." Hat sie mich gleich aus dem Zelt geholt, und da habe ich schon gesehen, dass sie mit der Scheibtruhe die Toten ins Krematorium gefahren haben. Das war der erste Anblick vom Lager.

Durch die Anni habe ich dann die Verbindung mit dem Block drei gekriegt. Da waren die Prominenten, die Jochmann, die Bertl Lauscher, die Mela Ernst. Ich weiß nicht, wie sie alle geheißen haben. Da hat eben die Bertl geschaut, dass wir wegkommen vom Lager, und da sind wir eingekleidet worden, und komischerweise habe ich ein ganz schwarzes Gewand gekriegt. Ein schwarzes Kleid und eine schwarze Jacke und ein schwarzes Kopftuch. Alle anderen haben freundliche Sachen gekriegt, ich bin ganz schwarz eingekleidet worden. Da hast du so einen Sack hingeschmissen gekriegt und das hast halt anziehen müssen. Vorne ein Kreuz und hinten ein Kreuz, ein weißes. Da habe ich das halt angezogen. Dann ist auch eine ältere Kameradin da gewesen - die Verbindungsfrau von Eisenerz -, die hat so ein buntes T-Shirt gehabt, und da hat sie gesagt: "Weißt´ was, gib mir dein schwarzes Tuch, ich bin eh eine alte Frau, und nimmst du das bunte Tuch, damit du ein bisschen freundlicher ausschaust!" Und das Kleid war so durchbrochen und da habe ich dann das bunte Tuch durchgezogen. Jetzt hat das nicht so tot ausgeschaut. Aber als wäre das eine Vorahnung gewesen, dass ich ein schwarzes Gewand brauche. Irgendwie habe ich ein dummes Gefühl gehabt, damals schon.

Und dadurch, dass wir so zusammengehalten haben, war es dann irgendwie leichter, und jung waren wir auch, das spielt auch eine große Rolle, die Älteren haben es zum Teil nicht ausgehalten. Wie meine Mami richtig zugrunde gegangen ist, das weiß ich gar nicht. Der eine Teil sagt, sie ist erfroren. Beim Appellstehen ist sie umgefallen und niemand hat sie aufheben dürfen. Und das war so, wenn jemand umgefallen ist - und damals waren ja die Winter noch viel strenger -, hat sie niemand aufheben dürfen. Und die andere sagt wieder - eine Ravensbrückerin mit der ich besonders gut war, die war dabei, als meine Mami gestorben ist - und sie sagt, sie ist im Krankenblock gestorben. Also, ich hoffe, dass das stimmt. Ändern kann man eh nichts mehr. Und beim Vater habe ich nie nachgefragt, wie er zugrunde gegangen ist, weil mir das von der Mami schon genügt hat. Da habe ich nie... Da ist einer gewesen, der zurückgekommen ist von Flossenbürg und der hat gesagt, er hätte vom Vater, als er gestorben ist, den Mantel genommen, weil er gesagt hat: "Du, wenn ich nicht mehr munter werde oder nicht mehr zu mir komme, dann nimmst du meinen Mantel." Aber ich habe nie fragen können, wie er gestorben ist, oder ob er krank war. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht. Heute noch nicht.

Aus: Ratuj mnie, reši me! (Rette mich), Österreichische Überlebende des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, 65 min. Weitere Informationen zum Film finden Sie hier.